Die Gloger-Orgel in Otterndorf (Pastor Thorsten Niehus, 16.01.2022)

Ich möchte Sie einladen, in Gedanken in das Otterndorf des Jahres 1662 zu reisen. Nach Orgelbauten von Matthias Mahn aus Buxtehude und Antonius Wilde, einem Otterndorfer Orgelbaumeister, der auch die Grundlage für die Schnitger-Orgel in Lüdingworth gelegt hat, feiert die Gemeinde erneut die Wiedereinweihung der Orgel. Vorangegangen sind gründli­che Erweiterungen durch den Hamburger Orgelbaumeister Hans Riege. Neben vielen Gästen ist auch der Orgelrevisor und bekannte Komponist Heinrich Scheidemann anwesend, um die Otterndorfer Or­gel abzunehmen. Scheidemann berichtet beim Besuch von der wach­senden Popularität der Thesen von Professor Großgebauer aus Rostock. Großgebauer will aus Glaubensgründen das Orgelspiel auf die einfache Begleitung des Gemeindegesangs begrenzen. Künstlerisches Orgelspiel würde die Gemeinde vom Glauben an Jesus Christus ablen­ken und die Gläubigen auf die Rolle passiver Zuhörer beschränken.

In ganz Deutschland werden die Gedanken Großgebauers mit viel Sympathie der evangelischen Kirchen diskutiert. Der Otterndorfer Pastor Hector Mithobius stellte sich in einem Werk von über 400 Seiten der Behauptung entgegen, dass Orgelmusik den Glauben behindern würde. Anhand der Geschichte von David, der Saul mit seinem Harfenspiel tröstete und seelisch erbaut, findet er die biblische Begründung dafür, dass Orgelmusik, der Predigt gleichgestellt, der Verkündigung des Evangeliums dient. Mithobius Gedanken finden viel Anklang. Sie dienen den Kirchengemeinden und Orgelbauern wie Arp Schnitger als gedankliche Grundlage für die Entstehung ganzer barocker Orgellandschaften in Deutschland. So öffnet die Schrift des Otterndorfer Pastors Hector Mithobius der lutherischen Orgelkultur bis hin zu Diederich Buxtehude und Johann Sebastian Bach die Möglichkeit, sich zu entfalten.

Otterndorf als Geburtsstätte lutherischer Orgelkultur ist eine bis heute wenig beachtete Tatsache. Doch nicht nur das Lokalkolorit, sondern besonders die Konzentration Mithobius auf den biblisch begründeten Glauben an Jesus Christus ist ein Erbe, dass wir in glaubensschwacher Zeit, gerade auch in Sachen Orgelkultur pflegen sollten.  

                               

Gedanken zur Entstehung der Gloger-Orgel Es vergehen keine 80 Jahre nach der Einweihung der Riege-Orgel und dem Streit zwischen Großgebauer und Mithobius, als sich die Otterndorfer Kirchengemeinde auf den Weg macht, die Orgel durch Dietrich Christoph Gloger zur größten Barockorgel zwischen Elbe und Weser umbauen zu lassen. Es entsteht ein Werk, dass die Norddeutsche, besonders durch Arp Schnitger beförderte Orgelbaukunst mit der Süddeutschen von Matthias Dropa beeinflussten Tradition zu einem einzigartigen Instrument verbindet. Gleichzeitig wird die St. Severi-Kirche grundlegend umgebaut und erhält ihre heutige Form.

Dass ausgerechnet in Otterndorf unsere in Größe und Bedeutung her­ausragende Gloger-Orgel entsteht, lässt sich nicht nur damit erklären, dass Otterndorf im 17. und 18. Jahrhundert ein wohlhabender Um­schlagplatz zwischen Hamburg und der Nordsee war. Vielleicht hat auch der Otterndorfer Orgelstreit eine gewisse Rolle gespielt.

Aber Otterndorf hat im beginnenden 18. Jahrhundert mit drei großen Naturkatastrophen zu kämpfen. Seit 1712 wütet die Pest im Land Hadeln, durch die viele Menschen ihr Leben verlieren. 1713 fallen bei einem Stadtbrand viele Otterndorfer Häuser den Flammen zum Opfer. Und im Jahr 1717 brechen während der Weihnachtsflut in der ganzen Deutschen Bucht die Deiche und sorgen für ungezählte Opfer. Auch die St. Severi-Kirche, immerhin 6,5 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, wird in Mitleidenschaft gezogen. Der Wiederaufbau in Hadeln und umzu dauert 25 Jahre, bis in Kehdingen die letzte Deichlücke geschlossen wird.

Reichtum und Orgeltradition haben vielleicht etwas geholfen, ausgerechnet in dieser schweren Zeit die Otterndorfer Gloger-Orgel entstehen zu lassen. Doch der Glaube der Menschen, der erfahrene Trost und der Wunsch, Gott mit einem außerordentlichen Instrument außerordentlich für seine Rettung aus den Naturkatastrophen zu loben, sind wohl die stärkste Triebfeder für den damaligen Orgelbau. Ich empfinde es als ein Wunder biblischen Ausmaßes, eine Mischung aus menschlichem Engagement und Gottes Hilfe, dass der Orgelbau durch Dietrich Christoph Gloger gelungen ist.

 

Gedanken zu romantischem Umbau, Kriegsschäden und Restaurierung durch Emil Hammer Für den Erhalt der Gloger-Orgel ist es ein Glücksfall, dass Otterndorfs Reichtum mit Beginn des 19. Jahrhunderts zu Ende geht. In den wohlhabenden deutschen Städten werden die Barockorgeln dem Zeitgeschmack entsprechend zu romantischen Instrumenten umgebaut. In Otterndorf werden lediglich einige Register ersetzt und die alten Pfeifen auf dem Orgelboden zwischengelagert. So bleibt es in Otterndorf weiterhin möglich, barocke Orgelwerke in originalem Klang zu hören.

Nicht nur orgelkulturell, sondern auch geistlich erlebt die Gloger-Orgel einen Tiefpunkt, als 1916 die Prospektpfeifen abgebaut und das Zinn für Munition im 1. Weltkrieg missbraucht wird. Orgelpfeifen zu Munition umzuschmelzen stellt die Biblische Friedenszusage „Schwerter zu Pflugscharen“ auf den Kopf. Das widerstandslos zugelassen zu haben ist aus heutiger Sicht ein massives geistliches Versagen gegenüber dem Staat.
Dort wo Pfeifen der Orgel als Instrument des Lob Gottes zugunsten von menschlichen Machtinteressen eingeschmolzen werden, öffnen wir der Barbarei mit ungezählten Menschenopfern Tür und Tor.

1936, mitten im Kirchenkampf und drei Jahre vor Beginn des 2. Weltkrieges wird die Gloger-Orgel durch die Werkstatt von Emil Hammer umgebaut und gesichert. Ungefähr die Hälfte der barocken Register bleiben erhalten.

Die ersetzten Prospektpfeifen aus Zink, jenem billigen Material, aus dem heutzutage Dachrinnen gefertigt werden, bleiben bis heute als ein Denkmal bestehen, dass uns daran erinnert, menschliche Machtinteressen dem Willen und der Liebe Gottes unterzuordnen.

 

Gedanken zur Reparatur der 1970er Jahre (Führer/ Schild)
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hätte die große Möglichkeit bestanden, die Gloger-Orgel grundlegend zu restaurieren. Die Rückbesinnung auf die barocke Orgelkultur im Nachkriegsdeutschland, damals, im Unterschied zu heute, gut gefüllte Kirchenkassen und fertige Konzepte bis hin zu exakten Kostenschätzungen wären eine außerordentlich gute Grundlage gewesen, schon damals die Gloger-Orgel zu erhalten.

Doch genauso, wie man sich in den 70er Jahren entschieden hat, die Bauernmalereien der Kirchenbänke einfach grünbraun überzustreichen, hat man sich auch bei der Orgel für eine einfache Lösung entschieden. Die notwendigsten Reparaturarbeiten wurden erledigt, teilweise die Mechanik mit Plastikverbindungen repariert und darauf vertraut, dass die Orgel schon irgendwie den Gemeindegesang weiterhin begleiten kann. Die zentrale Aufgabe der Orgelmusik für das Lob Gottes und die Verkündigung des Evangeliums im Sinne des Otterndorfer Orgelstreits hat man anscheinend dabei nicht bedacht. Martin Luther sprach einmal davon, dass der "erste Ursprung der Musik aus dem Himmel selbst genommen" sei. Diese besondere Gelegenheit, unserer Orgel bildlich gesprochen "eine Treppe" zum Himmel zu bauen, wurde in den 70er Jahren leider nicht genutzt.

 

Gedanken zur Restaurierung 2022/23 Nach der Entstehung der Gloger-Orgel im Windschatten der Naturkatastrophen von Pest, Stadtbrand und Weihnachtsflut ist es für mich ein zweites Wunder, dass wir heute den Beginn der grundlegenden Restaurierung feiern können.

Wie zu Glogers Zeiten wird nicht nur die Orgel, sondern auch die Kirche restauriert, damit beide erhalten bleiben. Es ist uns gelungen, bis hierher zu kommen, weil viele Menschen hart gearbeitet haben und wir uns zugleich darauf besonnen haben, dass all unsere Mühe umsonst ist, wenn wir uns nicht auf Gottes Hilfe verlassen.

Wie in der Landwirtschaft menschliche Arbeit und Gottes Segen zusammengehen, so ist auch der Weg der Orgelrestaurierung nicht das Verdienst von Menschen, sondern ein Geschenk Gottes, dass unsere Mühe an ihr Ziel bringt.

Und wie zu Glogers Zeiten die Pest so hat uns heute die Corona-Pandemie nicht vom Kurs abgebracht, weil wir unser Menschenmöglichstes tun und zugleich auf Gott vertrauen.

Ab morgen werden wir als Kirchengemeinde eine letzte lange und schwierige Wegstrecke zurücklegen müssen. Nur mit einer kleinen Hilfsorgel und über lange Zeit mit einer Kirche als Baustelle. Aber der Weg ist vorgezeichnet und hat mit einer restaurierten Orgel in einer grundsanierten Kirche ein wunderbares Ziel.

Wir haben in den vergangenen knapp 10 Jahren die Gloger-Orgel als ein Instrument kennengelernt, das dem Lob Gottes und zu Trost und Glaubensstärkung der Menschen dient. Es ist nicht nur eine kleine Gruppe eingeschworener Orgelfreunde, die sich an der Gloger-Orgel erfreuen. Kindergarten- und Schulkinder, Konfirmanden und Jugendliche, Otterndorfer und Touristen aus nah und fern haben die Gloger-Orgel als ein Instrument kennengelernt, das, neben den barocken Meistern auch durch die ganze Bandbreite von Renaissance bis Rolling Stones, von Mussorgsky bis Manfred Mann den Menschen einen Zugang zu Kirche und Glauben ermöglicht.

Diese Bandbreite an, auf der Gloger-Orgel spielbarer Musik möge um Gottes Willen auch nach der Restaurierung erhalten bleiben. Weil Orgelmusik Verkündigung für alle Menschen ist. Eine Beschränkung der Orgelmusik auf die Zeit des Barocks würde Menschen aus der Kirche ausschließen, die keinen Zugang zu dieser Musikrichtung finden.

Persönlich liebe ich die barocke Orgelmusik. Aber sie darf keine Barriere für den Zugang zum Evangelium werden. So wie wir es in der Jahreslosung für 2022 gehört haben: Jesus Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh. 6,37)

Unsere Aufgabe als Kirchengemeinde ist es, Jesus Christus den Weg zu bereiten und Barrieren wegzuräumen. Weder der Impfstatus noch der Musikgeschmack darf Menschen davon abhalten, vor Gott und der Gemeinde zur Besinnung zu kommen. Doch ich bin sehr zuversichtlich, dass unsere Gloger-Orgel auch diesbezüglich bei der Orgelbau-Werkstatt Ahrend in guten Händen ist.

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